Die aus der jüngsten Sonderkonjunktur erwachsenen Probleme haben die Regierung scheinbar zu der Erkenntnis gebracht, dass sich die Politik der letzten Jahre längerfristig nicht zielführend ist. Zumindest bezeichnete Regierungschef Wen Jiabao das wirtschaftliche Wachstum in China in seinem Rechenschaftsbericht am vergangenen Montag als "unausgewogen, unkoordiniert und nicht aufrechtzuerhalten" und stellte fest, dass die Entwicklung "stärker nachhaltig und effizienter" werden müsse. Die Erhöhung der Binnennachfrage ist eine Top-Priorität der Wirtschaftsstrategie um die Abhängigkeit vom Export zu reduzieren und wird daher als entscheidend angesehen, um langfristig robustes Wachstum zu sichern. Nach der Inflation von 5,4 % und dem starken Wachstum der Nahrungsmittelpreise im vergangenen Jahr sollen die Verbraucherpreise 2012 nur noch etwa um 4 % zulegen. Die Einkommen sollen indes weiter wachsen, nachdem sie 2011 in den
Städten bereits um 8,4 % und auf dem Land um 11,4 % zugelegt hatten. Zudem gab Jiabao an, gegen die wachsende Einkommenskluft zwischen Reich und Arm angehen zu wollen. Die Ausgaben in den Bereichen Bildung, Kultur, Gesundheit, Arbeitsmarktförderung und soziale Absicherung sollen gesteigert werden. Insgesamt sollen neun Mio. neue Arbeitsplätze entstehen. Gleichzeitig soll die Verschuldung niedrig bleiben. Das Defizit im Staatshaushalt werde 800 Milliarden Yuan (ca. 96 Mrd. Euro) bzw. 1,5 % des Bruttoinlandsproduktes betragen. Im Vorjahr hatte die Defizitquote bei 1,8 % gelegen. Aufgrund des staatswirtschaftlichen Systems ist das Defizit Chinas jedoch nicht direkt mit dem westlicher Länder vergleichbar, u. a. da China nach Einschätzung von Experten erhebliche Ausgaben in den Bilanzen der staatlichen Banken versteckt.
Chinas Premier kündigte außerdem eine höhere Förderung für die Forschung an. Der Staat will mit seiner Innovationsstrategie eine Abkehr von der Billigproduktion hin zu höherwertigen Produkten einleiten. Die chinesische Regierung fördert bereits heute Patentanträge mit Subventionen - nach einer Studie der TU München ist es dabei bislang jedoch egal, ob das Patent überhaupt Sinn macht. Chinas Elektroindustrie befindet sich laut den Untersuchungen der Münchener tatsächlich auf dem Weg, weltweit führende Produkte anzubieten. Das Niveau der Forschung und Entwicklung in den Unternehmen liege zwar noch deutlich unter dem Westeuropas, Japans und Amerikas. Doch die Geschwindigkeit, mit der China aufholt, sei zuletzt deutlich gestiegen. Dass zukünftig immer mehr zündende Ideen aus China kommen werden, gebietet allein schon die Wahrscheinlichkeit, wenn man bedenkt, wie viele Ingenieure die dortigen Hochschulen jährlich hervorbringen. Aktuell liegt die Qualität chinesischer Patente jedoch noch weit hinter denen der Europäer zurück.
Der heiß gelaufene chinesische Immobilienmarkt soll im laufenden Jahr weiter kontrolliert und Spekulationen eingedämmt werden, um die Preise auf ein, wie es hieß "angemessenes Niveau" zu bringen. Ebenfalls zu Beginn der zehntägigen Tagung sagte Jiabao, seine Regierung werde in der Geldpolitik eine vorsichtige, aber flexible Haltung einnehmen und Angebot und Nachfrage von Geld und Kredit in angemessener Weise anpassen, um China vor den Risiken des Finanzsystems zu schützen.
Alle auf dem Volkskongress genannten Ziele gleichzeitig zu verfolgen, dürfte mitnichten einfach sein. So sind steigende Löhne und sinkende Inflation an sich ein Widerspruch. Auch ist beispielsweise fraglich, ob die Binnennachfrage stärker von Lohnerhöhungen profitiert, als der Export darunter leidet und ob das Tempo der Transformation hin zu einem Technologieland schnell genug vonstattengeht, denn niedrige Kosten sind gegenwärtig noch das klare Hauptargument ausländischer Investoren für eine Produktion in China und schon jetzt kehren zunehmend Arbeitsplätze in ihre Heimatländer zurück oder die Produktion wird in andere Billig-Lohn Märkte wie Nordafrika verlegt. Vor allem dürfte auch die optimale Ausbalancierung der Geldpolitik eine Kunst sein.
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